21_11

Zum Problem der Leistungsmotivation

Ein Zauberwort in der gesamten pädagogischen Welt ist das der Motivation.
Wie diese herzustellen ist und welche Tricks einem Lehrer dabei helfen können, lernt man in den Seminaren an der Hochschule und während des Vorbereitungsdienstes für das Lehramt, dem sogenannten Referendariat.


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Wer als Lehrer von Motivation spricht, meint im weitesten Sinne immer die 'Leistungsmotivation'. Dabei entsteht jedoch ein Problem, dass nur selten Beachtung findet. Denn zum einen findet eine echte 'Leistungsmotivation' in der Schule genau genommen gar nicht statt. Geht man alleine von dem Begriff aus, dann zeigt sich, dass diese selbst außerhalb der Schule im Grunde genommen nur eher selten vorkommt. Man findet sie sicherlich bei Sportlern, Musikern, in bestimmten natur- oder geisteswissenschaftlichen Einzeldisziplinen, aber nicht in einer allgemeinbildenden Schule. Und es stellt sich die Frage, inwieweit eine Leistungsmotivation überhaupt in den Rahmen einer Schule gehört, lässt doch alleine die Vielzahl der Schulfächer daran Zweifel aufkommen. Es ist wohl kaum möglich, sich in fast zehn unterschiedlichen Unterrichtsfächern gleichsam auf Höchstleitung 'trimmen'. Und schon allein aus diesem Grunde lässt sich eine Leistungsmotivation wohl kaum einfach 'herstellen', wie es uns die Pädagogik gerne Glauben machen will.
Sinnvolles Lernen gedeiht in der Schule nicht von sich aus, sondern am ehesten in einer Art "Erledigungsmodus": Strukturiert und überschaubar werden die verschiedenen Schritte bzw. (Schul-) Arbeiten 'abgearbeitet'. Für den Schüler bedeutet dies, in einem überschaubaren Rahmen ganz bestimmte Schritte zu erledigen. Und am Ende hat man (und das gilt im Grunde für jeden Menschen) etwas geschafft – eben 'erledigt'. Im Erledigungs-Modus besteht die Leistung darin, überhaupt etwas (sinnvoll) geschafft zu haben.
Dem entgegen steht eine Haltung, die vielleicht unbewusst viele Lehrer (und in eins damit auch viele Eltern) verkörpern: Sie neigen dazu, dem Schüler eine Art (Leistungs-) Motivation "abzuverlangen". Mehr noch, man fordert im Grunde eine Leistungsmotivation, die in sich grenzenlos ist.
In diesem System geht es nicht mehr darum, ob ein Schüler 'gut' ist, sondern inwieweit er sich dem Programm einer 'grenzenlosen Leistungsmotivation' unterwirft.
Das Motto eines solchen Systems lautet: Wenn es einem Schüler gelingt, sich grenzenlos zur Leistung zu motivieren, dann kann nichts schief gehen. Und umgekehrt: Geht es doch schief, nun, dann war der Schüler eben nicht bereit, sich 'grenzenlos' zu motivieren.
Gerade die einer grenzenlosen Leistungsmotivation innewohnende Beweispflicht verhindert aber ein ruhiges Sich-einlassen und genaues Hinschauen auf die gestellte Aufgabe. 'Richtiges' Arbeiten ist somit genau genommen inkompatibel mit einer Leistungsmotivation im oben genannten Sinne.



21_10

Der Lehrer als Bergführer

Lehrer, die ihr Engagement bis tief in ihr eigenes Privatleben hinein ausdehnen, machen im Grunde ihren Beruf zum Hobby. Der Lehrerberuf ist aber kein Hobby, sondern ein Beruf. In der (heutigen) Pädagogik geht man davon aus, dass ein Lehrer für alle (Schüler und deren Eltern) persönlich da sein soll. Das mag an sich richtig sein, aber es ist etwas Grenzenloses darin enthalten, was Probleme birgt. Ich denke vielmehr: Gerade weil ein Lehrer für 'alle' da zu sein hat, ist er nicht für 'alles und für jedes' da.

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Versuchen wir einmal, die Arbeit eines Lehrers nach dem Bild eines 'Bergführers' zu verstehen. Dann ist der Lehrer jemand, der eine Gruppe junger Menschen durch eine Berglandschaft begleitet. Er kennt diese Landschaft, weil er bestimmte Ecken davon studiert hat (vielleicht Englisch, Biologie oder Religionswissenschaft z.B.).
Die Schüler sollen am Ende 'über den Berg' kommen und dabei das eine oder andere von dieser Landschaft erfahren. Ziel ist es dabei nicht, besonders tolle Leistungen zu erbringen. Ein Coachen auf Höchstleistungen von Einzelnen auf besondere Kenntnisse wie z.B. in der Pflanzen- oder Vogelkunde ist nicht das Ziel eines Bergführers und sollte auch nicht richtungsweisend sein für das Aufgabenverständnis eines Lehrers. Im Vordergrund steht das Herstellen von Erfahrungen in einer interessanten Landschaft, und das gemeinsame und mit Gewinn 'Über-den-Berg-kommen' einer ganzen Gruppe. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass der Bergführer hier und da mal etwas 'Nachhilfe' leisten muss, ein Pflaster aufklebt oder jemanden ermutigt, sich auf seine eigenen Kräfte zu besinnen, um weitergehen zu können.
Grundsätzlich aber gilt für eine Bergwanderung, dass jeder Teilnehmer bestimmte physische und psychische Voraussetzungen erfüllen muss. Bringt ein Teilnehmer bestimmte Voraussetzungen nicht mit – etwa das längere Ausschreiten an einem steilen Hang – kann und muss der Bergführer diesen Teilnehmer im Sinne der Gruppe von der Wanderung ausschließen (oder ihm einen speziellen Kurs empfehlen bzw. zuweisen, in dem diese Grundvoraussetzungen nachgelernt werden können).

Das Bild des Bergführers beinhaltet auch, dass der 'Berg-Lehrer' für den einzelnen Schüler nicht ständig oder nach Bedarf verfügbar ist – auch wenn genau dies häufig von Eltern wie auch Schülern erwartet wird. Ein Bergführer muss, will er seiner Aufgabe gerecht werden, eine Haltung entwickeln, die den Berg-Teilnehmern intuitiv und nachvollziehbar bestimmte Grenzen setzt. Ein Lehrer, der beispielsweise das Signal aussendet, er sei immer und umfassend für jeden einzelnen 'persönlich' da, nimmt dem einzelnen Schüler die Chance, sich selber auf sein eigenes Leben hin zu entwickeln.
Die besondere Berglandschaft und die 'Gesetze des Berges' kennt der Gruppenteilnehmer oder, im übertragenen Sinne, der Schüler nicht.
Er ist auf seine eigenen Vorerfahrungen angewiesen und muss unter der Anleitung des Bergführers und im Verbund mit den anderen sich ein eigenes Bild davon erarbeiten. Das kann ihm der Bergführer nicht abnehmen – so, wie es auch der Lehrer dem Schüler nicht abnehmen kann, sich seine eigene Landschaft zu erlaufen. Ein falsch verstandenes oder überzogenes Engagement eines Lehrers würde ein falsches Signal sein. Und das gilt auch und besonders für die Eltern, die zu den Lehrern ihrer Kinder (aus Not und Unsicherheit) oftmals genau so 'unersättlich' sind wie die Schüler selber.

Ein Lehrer, der nicht in der Lage ist, an den richtigen Stellen die richtigen Grenzen zu setzen, wird auf Grund von diesen unausgesprochenen Erwartungen sehr schnell erpressbar, da es bei ihm ja keine klar erkennbaren Grenzen gibt. Lehrer müssten im Grunde von Beginn an (zum Beispiel in kleinen Gruppen) lernen, was es bedeutet, eine Bergführer-Haltung zu entwickeln. Eine solche neu verstandene Haltung würde dann auch den Bedürfnissen der Lehrer selber gerecht werden. Denn genau die bleiben bei einer falsch verstandenen Haltung oftmals auf der Strecke – und verirren sich nicht selten am Ende in eine Art ständiger 'Verbiesterung' (burn-out) gegenüber allem, was die Schule, den Unterricht und Schüler betrifft.


21_09

Handlung statt Haltung - ein Missverständnis pädagogischen Denkens

Gängiges pädagogisches Denken orientiert sich immer noch und ausschließlich am Handeln. Welche Möglichkeiten können sich für ein besseres Verstehen des Lehrberufes ergeben, wenn man jenseits dieses Denkens eine andere Perspektive einnimmt? Wir könnten dann den Blick auf den inneren Zusammenhang typischer Lehrerhandlungen richten und uns dabei auf die Suche nach einer Lehrer-Haltung begeben, ohne die ganze Komplexität selber auszulassen.
Und das ist es auch, was mich psychologisch an dem Beruf des Lehrers interessiert. In meiner Dissertation bin ich dieser Fragestellung ebenfalls nachgegangen. Den dort entwickelten Gedankengang möchte ich hier in unserem Themenrahmen gerne in einer Kurzversion (Abstract) vorstellen.

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Abstract
Die vorliegende Arbeit1) geht davon aus, dass für die Ausübung des Lehrerberufes eine Haltung sinnvoll ist, die ein Lehrerhandeln wie ein Ganzes in sich zusammenhält und dabei den vielschichtigen Herausforderungen des Berufes gerecht wird.
Eine Lehrer-Haltung soll sich abheben von dem vorherrschenden Modell einer so genannten Professionalität, welche allein auf Fertigkeiten gegründet ist. In der Theorie des impliziten Wissens (Neuweg, Polanyi) wird eine erste Umsetzung dieser Idee gesehen und vorgestellt. Darin wird der 'Experte' oder 'Könner' favorisiert. Nach diesem Modell ist das Handeln an der Sachlage ausgerichtet und von intuitiver Natur. Das 'Wissen' des Lehrers erweist sich hier gleichsam erst im Tun selbst. Dieses Modell beinhaltet jedoch zwei Probleme. So fehlt dem Konzept des impliziten Wissens die Fähigkeit der Selbstreflexion. Implizites Wissen, das sich im Lebensprozess entwickelt hat, kann nämlich auch in implizite Blindheit umschlagen.

Gegen diese Gefahr einer sich verfestigenden Lehrer-Haltung wird als ergänzende Möglichkeit einer Selbstreflexion das philosophische Denken Nietzsches empfohlen. Nietzsches aphoristisches Denken und die besondere Berücksichtigung der Kehrseiten menschlichen Handelns können dazu ermutigen, sich von einem Denken in Systemen zu lösen und einen freien Umgang mit den Paradoxien und Widersprüchen des Alltags zu wagen. Ein zweites Problem besteht darin, dass die Theorie des impliziten Wissens nur eine grobe Übertragung ihrer Prinzipien auf den komplexen Schulalltag zulässt (erschwerte Übertragbarkeit).

Deshalb wird im Schlussteil dieser Arbeit das Denken einer bildanalytischen Psychologie und Entwicklungstherapie (Mikus) vorgestellt und als Werkzeug für die Einschätzungen und Gestaltung des schulischen Alltags empfohlen. Die ordnungsstiftenden Prinzipien eines bildanalytischen Denkens wirken nicht wie formalisierende Systeme, sondern wie die 'übergreifenden Bilder' der jeweiligen Zusammenhänge selbst. Das führt zu einer Haltung eines kreativen Sich-zurechtfindens in immer neuen Zwischenwelten, die an die jeweiligen Verhältnisse angepasst sind. Eine solche Haltung beruht nicht auf vorab gelernten Fertigkeiten oder einfacher Intuition, sondern auf der erworbenen Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge bildhaft wahrnehmen und mit ihnen angemessen umgehen zu können.

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1) Bei dem angführten Text handelt es sich um das Abstract meiner Dissertation mit dem Titel "Auf der Suche nach einer Haltung". Die Arbeit findet sich auf dem Server der Universität Vechta und ist einsehbar unter der Adresse https://voado.uni-vechta.de/handle/21.11106/92  (Stand: 4.3.2018)