Versuchen wir einmal, die Arbeit eines Lehrers nach dem Bild eines 'Bergführers' zu verstehen. Dann ist der Lehrer jemand, der eine Gruppe junger Menschen durch eine Berglandschaft begleitet. Er kennt diese Landschaft, weil er bestimmte Ecken davon studiert hat (vielleicht Englisch, Biologie oder Religionswissenschaft z.B.).

Grundsätzlich aber gilt für eine Bergwanderung, dass jeder Teilnehmer bestimmte physische und psychische Voraussetzungen erfüllen muss. Bringt ein Teilnehmer bestimmte Voraussetzungen nicht mit – etwa das längere Ausschreiten an einem steilen Hang – kann und muss der Bergführer diesen Teilnehmer im Sinne der Gruppe von der Wanderung ausschließen (oder ihm einen speziellen Kurs empfehlen bzw. zuweisen, in dem diese Grundvoraussetzungen nachgelernt werden können).
Das Bild des Bergführers beinhaltet auch, dass der 'Berg-Lehrer' für den einzelnen Schüler nicht ständig oder nach Bedarf verfügbar ist – auch wenn genau dies häufig von Eltern wie auch Schülern erwartet wird. Ein Bergführer muss, will er seiner Aufgabe gerecht werden, eine Haltung entwickeln, die den Berg-Teilnehmern intuitiv und nachvollziehbar bestimmte Grenzen setzt. Ein Lehrer, der beispielsweise das Signal aussendet, er sei immer und umfassend für jeden einzelnen 'persönlich' da, nimmt dem einzelnen Schüler die Chance, sich selber auf sein eigenes Leben hin zu entwickeln.

Er ist auf seine eigenen Vorerfahrungen angewiesen und muss unter der Anleitung des Bergführers und im Verbund mit den anderen sich ein eigenes Bild davon erarbeiten. Das kann ihm der Bergführer nicht abnehmen – so, wie es auch der Lehrer dem Schüler nicht abnehmen kann, sich seine eigene Landschaft zu erlaufen. Ein falsch verstandenes oder überzogenes Engagement eines Lehrers würde ein falsches Signal sein. Und das gilt auch und besonders für die Eltern, die zu den Lehrern ihrer Kinder (aus Not und Unsicherheit) oftmals genau so 'unersättlich' sind wie die Schüler selber.
Ein Lehrer, der nicht in der Lage ist, an den richtigen Stellen die richtigen Grenzen zu setzen, wird auf Grund von diesen unausgesprochenen Erwartungen sehr schnell erpressbar, da es bei ihm ja keine klar erkennbaren Grenzen gibt. Lehrer müssten im Grunde von Beginn an (zum Beispiel in kleinen Gruppen) lernen, was es bedeutet, eine Bergführer-Haltung zu entwickeln. Eine solche neu verstandene Haltung würde dann auch den Bedürfnissen der Lehrer selber gerecht werden. Denn genau die bleiben bei einer falsch verstandenen Haltung oftmals auf der Strecke – und verirren sich nicht selten am Ende in eine Art ständiger 'Verbiesterung' (burn-out) gegenüber allem, was die Schule, den Unterricht und Schüler betrifft.